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* In der islamischen Lebensweise sind Methoden geborgen, der alltäglichen Belastung beizukommen

21. November. 2008

Die Ursache des gesundheitlichen Hauptproblems der modernen Gesellschaften wird zunehmend auf einen Nenner geführt, welcher durch eine rasante Umwelt und rasantes Leben zustande kommt. Dies geschieht außerhalb unserer Kontrolle und reißt uns gezwungenermaßen mit, auch wenn wir wachsam sind. Durch die Arbeit selbst oder die Atmosphäre am Arbeitsplatz, durch den Verkehr, ja sogar durch den Zank der Kinder in einer kinderreichen Familie wird man steigend empfindlicher, gereizter und weniger belastbar. Eine Reihe weiterer Symptome psychischen Unwohlgefühls werden unter dem Begriff „Stress“ subsumiert und für viele Krankheiten als der begünstigende oder gar verursachende Faktor gesehen. Für Menschen in Extremsituationen, bei denen es für vieles zu spät und eine stationäre Behandlung erforderlich ist, werden immer wieder neue Techniken entwickelt, durch die meistens ein Gleichgewicht im Leben zwischen Geist und Körper hergestellt werden kann. Dabei werden des Öfteren fernöstlichen oder indischen Religionen entnommene Techniken praktiziert, ohne den eigentlichen Inhalt dieser nachvollziehen zu können. Als Muslim kann man sich das so vorstellen: Ein Arzt verschreibt seinem nichtmuslimischen Patienten Bewegungsabläufe, die dem islamischen täglichen Gebet entnommen worden sind. In dieser Weise funktionieren diese Empfehlungen für Gestresste, wenn sie Stressbewältigung und Entspannungsübungen nachgehen möchten. Schaut man in Buchhandlungen in die Fächer mit entsprechenden Ratgebern, fühlt man sich einer Flut von Entspannungsangeboten ausgesetzt; unzählige Arten des Yoga, Zen, Reiki, Feng-Shui sind die meist verbreiteten Möglichkeiten, die dem Laien Hilfe bieten sollen.

Für nichtmuslimische Hilfesuchenden mag ein Hin- und Herhüpfen zwischen verschiedenen esoterischen Erfahrungen kein Problem darstellen. Für den muslimischen Menschen, der den Islam als eine Lebensführung mit all ihren Facetten betrachtet, werden diese Übungen auch durch die unreflektierte Nachahmung der Gebetshaltungen irgendwelcher fernöstlicher Religionen ein den Glauben betreffendes Problem darstellen, auch wenn diesen Übungen deren eigentlichem Sinn und Philosophie entzogen worden sind.

Stress und geistiges Unwohlgefühl werden in der modernen Konsumgesellschaft auch weiterhin die Menschen beschäftigen. Die ursprünglich wenigen Kardinalbedürfnisse der Menschen, die er für ein glückliches Leben braucht, werden durch die treibenden marktwirtschaftlichen Kräfte vervielfacht und dem Menschen durch moderne Medien der Bedarf danach suggeriert. Unzählige teure Statussymbole und „Gebrauchsgegenstände“ treiben die Menschen zu mehr Geldbedarf durch Tätigkeiten, die die körperliche und/oder geistige Gesundheit der Menschen in Anspruch nehmen und aus dem Menschen zu einer hinter einer selbst vorgehaltenen Karotte her laufenden Gestalt machen. Das Angebot bestimmt nun die Nachfrage; wenn die Nachfrage nicht existent ist, so wird sie künstlich erzeugt. Ist der Mensch einmal in diesen Teufelkreis hineingestolpert, findet er ohne ein Schlüsselerlebnis, das ihn wachrütteln kann, kaum einen Ausgang.

Was bieten die monotheistischen Religionen als Lösung, und können sie im Zeitalter der boomenden alternativen Religionen standhalten? Ihre gemeinsame Botschaft ist eigentlich dieselbe: „Die Welt ist vergänglich, für die Fortführung des Lebens muss der Mensch sein Brot legal verdienen, dabei aber die von Gott festgelegten Grenzen nicht überschreiten und bloß nicht die Rechte der anderen Menschen verletzen. Mit dem, was er verdient hat, soll er sich begnügen und in Anbetracht des Reichtums, der anderen zuteil wurde, sich nicht kränken. Nicht den Blick auf den richtend, dem es „besser geht“ sich über die eigene Situation beklagen, sondern sich mit dem vergleichen, dem es schlechter geht, und sich für die eigene Situation bedanken. Sich der Sorge des täglichen Brotes wegen sich nicht in unerlaubte Situationen begeben, denn „es gibt kein Wesen auf Erden und im Himmel, dessen Lebensunterhalt Gott nicht vorgeschrieben hat“. Falls einem aber Reichtum und Vermögen zuteil geworden ist, so soll er damit vorsichtig umgehen und wissen, dass das Geld den Charakter verdirbt und zu Frevel führen kann. Der Gesandte Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, erklärte seine Armut zu seinem Stolz. ‘Isa (Jesus) fand es unerklärlich, dass Menschen für irgendwelche Erben, die sie nicht kennen, Geld anhäuften. Ob aber ein auf einem solchen Niveau geführtes Leben den Vorstellungen der modernen Marktwirtschaft entspricht, sei angezweifelt; die Menschen haben den Mammon bevorzugt. Sich mitten in der Arbeitswelt befindend, kann man sich auch als Muslim dem rasanten Tempo nicht entziehen. Wie meistert man dann als Muslim diese Situation? Es ist immer besser, von Anfang an für klare Verhältnisse am Arbeitsplatz zu sorgen. Schon bei den ersten Tagen der Arbeit sollte man mit dem Arbeitgeber ein informatives Gespräch über die täglichen Gebete führen, falls die Situation am Arbeitsplatz eine besondere Erlaubnis dafür erfordert. Ist man aber um den Arbeitsplatz besorgt und verschweigt lieber, dass man betet und praktizierend ist, und versucht, zu Hause die ganzen verpassten Gebete nachzubeten, so wird man das Gesicht spätestens beim nächsten Betriebsfest verlieren, wenn man für die Wahl der nichtalkoholischen Getränke immer irgendwelche Ausreden vorschiebt. Natürlich kann man Kompromisse eingehen, soweit diese islamisch vertretbar sind. Ein kurdisches Sprichwort sagt frei übersetzt: „Gott ist Einer, die Türen (des Lebensunterhaltes) sind tausend.“ Das tägliche Gebet gibt einem die Möglichkeit, allem was einem über den Kopf zu steigen versucht ein Stoppzeichen zu geben. Der Muslim ist Herr über die Zeit und die Umwelt und bestimmt, was er wann macht. Diese Zeiteinschnitte während der Arbeit ermöglichen dem Muslim die Wiederkehr zu sich selbst, die Konzentration auf seine eigentliche Aufgabe als Gläubiger und die Herstellung der Verbindung zu seinem Schöpfer. Durch die Rezitation der Qur’anverse und Lobworte im Gebet werden die Tore für den Herzensfrieden (Itmi’nan) geöffnet. Öfters dienen die Sunna-Gebete vor dem eigentlichen Pflichtgebet als eine Vorbreitung für diese „Himmelsreise des Gläubigen“, sozusagen als ein Vorbereiten der Seele auf das eigentliche Take-off, da es nicht einfach ist, sich mental und körperlich auf Anhieb von einer Situation in die andere hineinzusteigern.

Mit Waschung und Sunna-Gebeten wird der Körper auf das Fard-Gebet vorbereitet und durch ein in Harmonie geführtes Gebet werden Geist und Körper entlastet, Aufnahmefähigkeit und Konzentration wiederhergestellt.

Das tägliche Leben ist reich an Problemen, die sich auf die Psyche des Menschen negativ auswirken und in der klassischen islamischen Literatur als „musiba“ bezeichnet werden. Damit ist alles gemeint, was auf den Menschen „negativ einwirkt“. Der Qur’an empfiehlt bei solchen Gemütsumständen die Aussprache des Satzes „wahrlich, wir gehören Allah und zu Ihm werden wir zurückkehren“. Bedrängnisse kommen auf den Menschen zu, die er, ohne Gott in Taten und Gedanken widerspenstig zu sein, zu meistern hat. Wahre Stresssituationen also, von denen auch die Gesandten heimgesucht worden sind. Musa (Moses) befand sich in solch einer Lage, als er den Auftrag hatte, den Pharao zu ermahnen. „Mein Herr, weite mir die Brust, erleichtere mir meine Angelegenheit“, betete er, was darauf hinweist, dass er unter Stress war und sich nicht wohl fühlte, was wie eine Verengung des Brustkorbes wirkt. Viele Gesandten litten unter dieser Situation menschlichen Charakters vor ihrer gewaltigen Aufgabe. Im Qur’an wird ständig davon berichtet und dem Gesandten Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, als Beispiel und Trost diese früheren Gesandten erwähnt. In der Sure Inschirah (Das Weiten) spricht Allah den Gesandten an und stellt so eine Tatsache in einer Frage fest: „Haben wir dir nicht die Brust geweitet?“

Allgemein wird als Ort dieser Bedrängnisse der Brustkorb und das Herz betrachtet, und der Qur’an selbst wird im Qur’an „als Heilung für das, was im Brustkorb ist“ bezeichnet, die Heilung der Herzen durch Dhikr (die Erwähnung Allahs) bestimmt. Vom Gesandten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, überlieferte Litaneien (Aurâd) und die so genannten Tasbihat nach den Pflichtgebeten geben ein großes Spektrum der diesbezüglichen Möglichkeiten.

Liest man die Empfehlungen der Mediziner in der Behandlung und Vorbeugung des Stresses, so hat man das Gefühl, dass sie „lebt wie anständige Muslime“ sagen wollten, aber es nicht auf diesen Nenner bringen können. Von Experten werden meistens Hobbys empfohlen, die entlasten und Spaß machen. Hier bieten die muslimischen Künste viele Möglichkeiten, die auch in Deutschland und Europa zunehmend Interesse finden.

Kalligrafie, Marmorieren, Töpfern, Musizieren oder Dichten sind die bekanntesten, die nicht nur einen Selbstzweck erfüllen, sondern von den führenden Vertretern jener Kunst über Jahrhunderte in Verbindung mit der Darstellung des Schönen zu einer übersinnlichen Verbindung mit dem Schöpfer erhoben wurden. Informiert man sich mehr über den Islam, so sieht man erstaunt, wie viele Entfaltungsmöglichkeiten in allen Bereichen des Lebens dieser bietet. Die nur in Ansätzen skizzierten Themen in diesem Artikel mögen dem gestressten Leser die Tore der „Stressbewältigung à la Islam“ öffnen und somit eine natürliche Verbindung zwischen Mensch, Umwelt und Schöpfer wiederherstellen.

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